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Jannis Ritsos: Zwölf Gedichte zu Kavafis

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2017-06-22 2022-11-24 22.06.2017
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Zum 100. Geburtstag von Konstantinos Kavafis (29.4.1863 - 29.4.1933) hatte Jannis Ritsos (1.5.1909 - 11.11.1990) die„12 Gedichte zu Kavafis in seinem Athener Hausverlag Kedros veröffentlicht. Sie sind nun aus Anlaß von dessen eigenem 100. Geburtstag erstmals bei Romiosini in Köln auf Deutsch erschienen. Den sanftmütigen Ritsos muß seinerzeit das späte Getöse um den seelenverwandten Kavafis ziemlich genervt haben. Es habe Jahre gedauert, in denen man sich um ihn stritt und von ihm abrückte, bis er als der Ewig Junge erkannt worden sei. Aber zum Glück habe er, der Einzigartige, ein wunderbares Maß hinterlassen, damit man sich an ihm messe. In dem Punkt nun gibt es für Ritsos kein Zaudern: Allein wir, die würdig dieses Maß benutzen, /…des Erzengels Schwert, / wir schliffen es bereits und sind nun in der Lage, / sie der Reihe nach zu köpfen, alle.“Die Zahl derer, die sich an Kavafis maßen, ist stattlich (und stetig im Wachsen begriffen).
In einer Rede 1946 im Britischen Institut Athen hatte Giorgos Seferis, indem er sich über dessen Typ der Sensibilität ausließ und befand, „dass Kavafis jenseits seiner Gedichte kaum von Interesse ist, ihn gewissermaßen für sich vereinnahmt. Sind es Äußerungen dieser Art gewesen, die Ritsos so rigoros, für ihn völlig ungewohnt reagieren lassen? Ihm bedeutet Dichtung, zu sagen der Himmel ist siebenmal blau. Diese Klarheitwiederum ist die erste Wahrheit, - so zu lesen auf der Marmorplatte, die sein Grab in Monemvasia bedeckt. In dieser Wahrhaftigkeit des Dichtens war er eins mit Kavafis, der nach seinen Worten es vermochte „ein bewundernswertes Maß beizubehalten, mit sauber ausgewogenen Analogien, so daß seine Dichtung tiefgründiger wurde und das Niedrige niemals niedrig, sondern aufrecht erscheint.“ Das Licht, das ihm behagte, sei das der Öllampe gewesen, die er anderer Beleuchtung vorgezogen habe. Sie lasse sich regeln je nach dem Bedarf des Augenblicks, nach der ewigen, uneingestandenen Begierde. Die Öllampe, sie symbolisiert von altersher den Phallus und ist recht oft auch als ein solcher antikisch geformt in Augenschein zu nehmen. In diesem Zusammenhang heißt es bei Marguerite Yourcenar: „Seine [Kavafis‘] Redlichkeit hindert ihn daran, wie Proust ein groteskes und gefälschtes Bild seiner eigenen Neigungen zu liefern, eine Art schamhaftes Alibi in der Karikatur oder ein romantisches Alibi in einer transvestitischen Vermummung.“

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Auch in dieser unbedingten Redlichkeit weiß Ritsos sich eins mit Kavafis. Allerdings bescherte ihm sein Aufrechtsein andere, äußerst brutale Zumutungen. Was Kavafis in seinen sog. historischen Gedichten im Rückgriff aufs geschichtliche Beispiel vermeldet, nicht Siege, sondern Niederlagen, das hatte Ritsos am eigenen Leib und mit eigener Seele zu durchleiden. Sich dem Unglück stellen, wie das Kavafis etwa den Troern angesichts des drohenden Untergangs ihrer Stadt nachempfindet („Unsere Anstrengungen sind wie die der Trojaner. / Wir fassen etwas Vertrauen und fangen an, /Mutig und voller Hoffnung zu sein“), auch hierin sind sich die beiden gleich. Voller Hoffnung zu sein trotz aller Vergeblichkeit das ist das Resultat der Kavafis-Lektüre auch Bertolt Brechts: „In den Tagen, als ihr Fall gewiß war - / Auf den Mauern begann schon die Totenklage / Richteten die Troer Stückchen gerade, Stückchen / In den dreifachen Holztoren, Stückchen. / Und begannen Mut zu haben und gute Hoffnung. /Auch die Troer also. - Diese 12 Gedichte zu Kavafis, die nur ein schmales Bändchen abgeben, - was für ein unvergleichliches Beziehungsgeflecht tut sich mit ihnen auf!

Jannis Ritsos, Zwölf Gedichte zu Kavafis,
Griechisch- Deutsch, übertragen von Niki Eideneier,
Romiosini Verlag Köln 2009, 40 S.,
ISBN: 978-3-929889-88-8.